Rodney Crowell: "The Chicago Sessions" (New West, Mai 2023) |
[Cover The Cover |
Ain't Living Long Like This |
Jeff Tweedy]
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Wer einen Blick auf das Cover von Rodney Crowells brillantem neuen Album »The Chicago Sessions« wirft, könnte eine vertraute Anspielung auf das Debüt des legendären Songwriters von 1978 erkennen. »In vielerlei Hinsicht fühlt sich dieses Album für mich wie die allererste Platte an«, reflektiert Crowell. »Als meine Tochter Chelsea vorschlug, das Artwork ähnlich zu gestalten, ergab die Verbindung einen perfekten Sinn. Es hat etwas sehr Einfaches, sehr Unschuldiges an sich. Es sind nur ich und die Band zusammen in einem Raum, locker und live und mit viel Spaß.«
»The Chicago Sessions« wurde von Jeff Tweedy von Wilco produziert und ist in der Tat eine Rückbesinnung auf Crowells frühe Tage des Plattenmachens, aber es ist kein Nostalgietrip. Die Songs hier sind lebendig und aktuell, sie berühren alles von Liebe und Sterblichkeit bis hin zu Rasse und Religion, und die Darbietungen sind nichts weniger als berauschend, angetrieben von rauen Gitarren, Honky-Tonk-Piano und knackigen, druckvollen Drums.
Tweedy hat als Produzent ein leichtes Händchen, sein Einfluss ist subtil, aber unverkennbar, und die Abmischungen von Tontechniker Tom Schick sind dynamisch und lebendig, abwechselnd üppig und geräumig an den richtigen Stellen, wobei Crowells warmer, wettergegerbter Gesang stets im Mittelpunkt steht. Nimmt man alles zusammen, erhält man eine meisterhafte, generationsübergreifende Zusammenarbeit, die sich gleichzeitig frisch und vertraut anfühlt, ein prägnantes, einnehmendes Werk, das auf Schritt und Tritt ein Gleichgewicht zwischen sorgfältigem Handwerk und freudiger Befreiung herstellt.
...gehaltvolle wie abwechslungsreiche Crowell-Songs von bluesigem Shuffle über Honky Tonk bis Roots Rock mit tief schürfendem Sinnieren über Sterblichkeit, eine schlimme Welt, Rassismus und Religion.
(Good Times, Juni/Juli 2023)
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Graham Nash: "Now" (BMG Rights, Mai 2023) |
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Der zweifache Rock & Roll Hall of Famer und Gründungsmitglied der Hollies sowie von Crosby, Stills & Nash, Graham Nash, meldet sich mit seinem ersten Studioalbum mit neuem Material seit sieben Jahren zurück. Now wurde von Nash und seinem langjährigen Tour-Keyboarder Todd Caldwell produziert.
»Ich glaube, dass mein neues Album Now das persönlichste ist, das ich je gemacht habe. An diesem Punkt in meinem Leben ist das wirklich etwas, das man sagen kann«, so Nash.
Zusätzlich zu seinen zwei Eintritten in die Rock & Roll Hall of Fame (mit Crosby, Stills & Nash und den Hollies) ist Nash zweimal in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen worden - als Solokünstler und mit CSN. Nashs bemerkenswertes Werk begann mit den Hollies in den Jahren 1964 bis '68. Seine Beiträge zu Crosby, Stills & Nash, Déjà Vuare und den Hollies mit Titeln wie »Marrakesh Express«, »Pre-Road Downs«, »Lady of the Island«, »Teach Your Children« und »Our House« gehören zur musikalischen DNA in der amerikanischen Musikgeschichte.
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The Church: "The Hypnogogue" (Easy Action, Mai 2023) |
[Starfish]
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Die australischen Psych-Rock-Legenden The Church veröffentlichen ihr 26. Studioalbum »The Hypnogogue«.
Es gibt nur wenige Bands, die in ihr fünftes Jahrzehnt des Musikmachens eintreten und dabei noch so viel kreative Energie wie in ihren Anfangsjahren haben. Nur wenige Bands können 26 Studioalben vorweisen. Nur wenige Bands sind wie The Church.
Mit ihrem monumentalen Konzeptalbum »The Hypnogue« verfeinern The Church ihren unverwechselbaren Sound, ohne dabei ihre kreativen Schritte zu wiederholen. Das Album enthält die kürzlich veröffentlichten Singles »The Hypnogue«, »C'est La Vie« und »No Other You« und bietet einen Pool aus melancholischen Tönen und psychedelischen Schwingungen, die den Hörer in eine andere Welt entführen, geleitet von einer beeindruckenden Science-Fiction-Erzählung.
Das renommierte fünfköpfige Line-up besteht aus Bassist, Sänger und Bandgründer Steve Kilbey sowie dem langjährigen Mitstreiter, Schlagzeuger und Produzenten Tim Powles, der seit 1994 auf 17 Alben mitgewirkt hat. Hinzu kommt der Gitarrist Ian Haug, der seit 2013 in der Band mitspielt und früher bei den australischen Rock-Ikonen Powderfinger spielte. Das tourende Multiinstrumentalisten-Talent Jeffrey Cain ist seit dem Ausstieg von Peter Koppes Anfang 2020 nun ein Vollzeitmitglied. Der neu rekrutierte Ashley Naylor ist einer der besten Gitarristen Australiens und langjähriges Mitglied von Paul Kellys Touring-Band. Mit dem Eintritt in ihr viertes Jahrzehnt als Band bleiben The Church weiterhin eine hoch geschätzte kreative Kraft.
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The Wood Brothers: "Heart Is The Hero" (Thirty Tiger/Honey Jar, Apr. 2023) |
[One Drop Of Truth |
Oliver Wood]
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Die Wood Brothers haben gelernt, auf ihr Herz zu vertrauen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sie ihren Ruf als freidenkende Songwriter, Straßenkämpfer und Community-Builder gefestigt und einen Katalog vielfältiger Musik und ein treues Publikum geschaffen, das über die Jahre mit ihnen gewachsen ist.
Diese Entwicklung setzt sich mit »Heart is the Hero«, dem achten Studioalbum der Band, fort. Dieses neueste Werk wurde analog auf 16-Spur-Band aufgenommen und zeigt, dass die drei Musiker die Chemie ihrer gefeierten Live-Shows nutzen, indem sie ihre Auftritte in Echtzeit direkt im Studio einfangen, ohne dass ein Computer in Sicht ist. »Heart is the Hero« ist ein akustisches Album, das elektrisiert und mit Songs bestückt ist, die nicht nur das Herz, sondern auch den Kopf und die Hüften ansprechen.
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Sorry Gilberto: "Psychoactive Ghosts" (Solaris Empire, Juli 2022) |
[Construction Work & Stormy Weather |
Twisted Animals |
Der Rest Vom Licht |
Das Paradis]
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Das Berliner Duo Sorry Gilberto hat für sein neues Album „Psychoactive Ghosts“ zehn wunderschöne Songwriter-Folk-Pop-Songs aufgenommen
Nach sechs Jahren Pause melden sich Sorry Gilberto zurück. Das Berliner Duo Anne von Keller und Jakob Dobers präsentiert mit „Psychoactive Ghosts“ sein insgesamt fünftes Album seit dem 2008 erschienenen Debüt „Memory Oh“ und den Nachfolger des 2016 veröffentlichten „Twisted Animals“. Die zehn neuen Songs nahmen die beiden mit Hilfe von Co-Produzent Florian Sievers (Das Paradies) in dessen Berliner Studio auf. Das Album gemischt und gemastert hat Norman Nitzsche und als Gastschlagzeuger zeichnete sich Robert Kretzschmar (Kat Frankie, Masha Qrella, Albertine Sarges) aus.
Sorry Gilberto zwischen Belle & Sebastian und The Go-Betweens
Und was sind das für zehn wunderschöne, weitestgehend dem Songwriter-Folk-Pop zuzuordnenden neuen Songs, die Sorry Gilberto komponiert haben. Es geht schon mal sehr fluffig und melancholisch im Jingle-Jangle-Westcoast-Pop von „I’m Not Sorry“ los. Anne von Keller und Jakob Dobers beginnen gemeinsam mit den Zeilen „Lets’s go backwards through the sand / Let’s walk the shoreline ´til it ends“, und man möchte ihren Fußstapfen im Küstensand sofort bis zum Ende folgen, so einladend sind die filigranen Melodien dieses Albums. Nun, wir bleiben auf jeden Fall bis zum Ende des Albums auf der Sorry-Gilberto-Fährte. Da warten nämlich auf uns zum Beispiel noch das verspielt-verträumte, an Belle & Sebastian erinnernde „These Walls“ sowie das lässige, den Go-Betweens huldigende „Neighbours“.
Die hohe The-Walkabouts-Kunst
Und wem das noch nicht reicht, der wird mit dem großartigen „Easy Street“ belohnt. Belohnt insofern, als das wir hier nun wahrlich der hohen The-Walkabouts-Kunst begegnen, die sich bereits bei „Bird (On My Shoulder)“ andeutet. Wer prinzipiell an den von den Sixties inspirierten Songwriter-Pop und an sanften Psychedelic-Klängen seine Freude hat, der findet im Titeltrack „Psychoactive Ghosts“ wahrscheinlich ein neues Lieblingslied. Und wer auf versponnenen Indie-Wave-Pop steht, der freundet sich rasch mit dem etwas düsteren, aber sehr anmutigen „Animals In The Night“ an. Dieses Album zu hören bereitet große Freude.
(www.soundsandbooks.com)
14 Jahre gibt es jetzt schon das Duo Sorry Gilberto aus Berlin, das aus der Sängerin, Multiinstrumentalistin und Schauspielerin Anne von Keller und dem Sänger und Gitarristen Jakob Dobers besteht. Mit "Psychoactive Ghosts" bringen sie am 29. Juli 2022 ihr fünftes Album auf den Markt, das erste seit sechs Jahren nach "Twisted Animals" aus 2016. Das ist eine lange Unterbrechung für ein Musikprojekt. In solch einer Spanne haben sich andere Gruppierungen längst aufgelöst, umformiert oder die Richtung gewechselt. Sorry Gilberto ist hingegen in der Veröffentlichungs-Schaffenspause gereift, hat an stilistischem Umfang gewonnen und agiert jetzt noch raffinierter, seriöser und geschmackssicherer als schon zuvor. Woran auch der agile Gast-Schlagzeuger Robert Kretschmar einen nicht zu unterschätzenden Anteil hat.
"Hey Gilberto, I´m Not Sorry" lautet der Refrain zum Eröffnungs-Track "I`m Not Sorry". Eine Erkenntnis, die neue Sichtweisen und das Überwinden eines schlechten Gewissens offenlegt. Überaus galant und cremig wird der Song von einem swingenden, mild-psychedelischen Country-Folk-Thema eingeleitet und bekommt durch den ineinandergreifenden, fein aufeinander abgestimmten Duett-Gesang des Pärchens zügig eine seriös-gefasste Wendung verpasst. Entspannt-verlockende Musik, die zum vergnüglich-reizvollen Zuhören einlädt. Für "These Walls" übernimmt Anne von Keller den Lead-Gesang, den sie auf lieblich-kühle Weise über die sich teils stoisch wiederholenden, teils anziehend funkelnden Noten verteilt. Das konsequent peitschende Schlagzeug bildet dabei einen munteren Kontrast zu den verspielt-bunten Background-Tönen.
Anne und Jakob führen bei "Bird (On My Shoulder)" ein poetisch-dadaistisches Zwiegespräch, wobei das Lied seine Brecht/Weill-Wurzeln kaum verleugnen kann, diese aber durch einen frechen Pop-Anstrich effektvoll zu kaschieren versucht. Rhythmisch, melodisch und gesanglich könnte "Neighbours" auch ein Titel der australischen Alternative-Pop-Combo Go-Betweens sein. Sie präsentierten aparte Songs, welche eingängig genug waren, um im Radio zu laufen, aber dennoch über eine gewisse Widerborstigkeit verfügten, um nicht glatt zu wirken. So wie eben auch "Neighbours".
Ein langsam trottender, kräftig-gleichbleibender New-Wave-Rhythmus und eine silbrig klirrende Gitarre tragen den melodisch-ruhigen Solo- und Duett-Gesang von "Animals In The Night". Die E-Gitarre spielt zur Auflockerung sowohl Art-Rock-, Funk- wie auch Jazz-Akkorde und wird so zum Mittelpunkt des Geschehens.
Ein Tag am Strand. Da kommen bei "The Beach" zunächst positive Erwartungen auf, die allerdings ohne Vorfreude, sondern sachlich vorgetragen werden. Die Aufzählung beinhaltet allerdings auch Gedanken, die einer bedrückenden Endzeitstimmung nahekommen. Zackige E-Gitarren-Klänge, eine rauschende Orgel und ein stramm marschierendes Schlagzeug verbreiten eine ausgelassene Stimmung, die durch eine stellenweise Verringerung des Tempos etwas eingetrübt wird.
Die "Easy Street" ist eigentlich überall dort, wo Menschen für andere Menschen da sind, sie unterhalten oder sich um sie kümmern. Auf diese "Kümmerer" kann oder möchte niemand verzichten. Sie erhalten allerdings nicht den Lohn, den sie verdienen. Von Applaus oder Anerkennung alleine können sie aber nicht leben. Ein Dilemma, welches die Diskussion um leistungsgerechte Bezahlung immer wieder aufwirft. Sorry Gilberto gehen das Thema ohne Vorwürfe oder Bitterkeit an, sie sind zwar traurig über die ungerechte Wirklichkeit, wollen aber trotzdem nicht verzagen. Entsprechend melancholisch-zuversichtlich ist die Musik. Verträumte, verwehte Klänge werden von einer nachdenklich flirrenden E-Gitarre und einem unnachgiebige, aber nicht aggressiven Schlagzeug am Leben gehalten. Manchmal kann solch ein Beinahe-Klagelied sehr tröstlich sein.
Psychoaktive Substanzen verändern das Denken, Fühlen und Handeln. Die Wahrnehmung wird durch sie eine andere und das kann sich richtungsweisend auf das weitere Leben auswirken. Jene Erfahrung kann ein Schritt in Richtung Erleuchtung sein, sie kann aber auch zur Sackgasse werden. Im Stück "Psychoactive Ghosts" wird der Wunsch nach Bewusstseinserweiterung als sehnsüchtige Hinwendung zu "Ideen, die wir am meisten lieben und Orte, die eine Verbindung mit Gedanken, die wir gerne denken", beschrieben. Also als ein individueller Wohlfühl- und Erkenntnis-Kosmos. Musikalisch werden diese Überlegungen jedoch nicht esoterisch verklärt, sondern mit tatkräftigem Folk-Jazz untermalt.
Eine schwarze Lederjacke ist spätestens seit dem Film "Der Wilde" mit Marlon Brando von 1952 zum Symbol für Rebellion geworden. "Black Leather Jacket" verbreitet zwar keinen Aufruhr, nimmt aber textlich auch kurz Bezug auf die Kraft, die durch den Marlon-Brando-Auftritt geweckt wurde. Der Song setzt auf abgeklärte, dunkel-harsche Töne und ein langsames Tempo. Undurchsichtig, gleichmütig, klar strukturiert und mit freundlich-distanziertem Gesang von Anne von Keller wird über 6 Minuten Moll-lastiger Kunst-Pop zwischen Joy Divisions "Atmosphere" und David Bowies "Ashes To Ashes" erzeugt.
Beim zunächst nur von der akustischen Gitarre begleiteten Lagerfeuer-Folk "Monologues" kommt erst einmal Jakob Dobers zu Wort. Er bekommt durch den einsetzenden Harmonie-Gesang seiner Partnerin eine stützende Begleitung, so dass der Track auch wegen der noch zugesteuerten sphärischen Synthesizer-Töne seine trockene Erscheinung verliert und tiefgründig erscheint.
Sorry Gilberto haben sich mit "Psychoactive Ghosts" eindrucksvoll zurückgemeldet. Ihre Songs haben Charakter, zapfen unaufdringlich Referenzen an (z.B. João Gilberto (!!), Everything But The Girl, Rue Royale, Velvet Underground, Young Marble Giants, Joy Division, David Bowie, Belle & Sebastian) und zeichnen ein leicht halluzinogenes Bild, das zwischen Lust und Frust angesiedelt ist. Daneben hält der Spaß an Kontrasten die Songs lebendig: So erscheinen filigrane Töne neben provozierenden Rhythmen oder Schwebeklänge neben aufmunternden Takten. Die Lieder wurden so unterschiedlich ausgestaltet, dass sie mühelos über die gesamte Laufzeit von 45 Minuten für kurzweilige Unterhaltung sorgen.
(Heino Walter ?)
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Amanda Rheaume: "The Spaces In Between" (Universal/Ishkodé, Mai 2022) |
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The Spaces In Between by Amanda Rheaume is an honest, introspective, exploration of identity, unfolding across thirteen blended folk and rock songs that tell an important story.
Interwoven throughout the album are four interludes in which Métis rights leader and activist Tony Belcourt provides history of who the Métis peoples are, the attempted erasure of their history through repeated injustices and deep-rooted discrimination at the hands of the Canadian government, and its effects still seen to this day. Rheaume follows each interlude with an apropos number that not only speaks to the realities raised by Belcourt, but also stirs up and offers thoughts on how to proceed going forward. This is beautifully exemplified in the accompanying track to “Interlude 3”, where Belcourt discusses how Métis children today are unaware of the historic relationship that existed between their peoples, and how that relationship was broken generations ago. What follows is “Right By Your Side”, an anthem of hope, resilience, belief and promise in a greater future that starts with the younger generation. As the title of track four, “Death of the American Dream” proposes, perhaps it is the American dream that needs to pass away in order for something worth dreaming to be realized and actualized.
The final piece, “All Sides of Me”, presents various questions of self and identity that the listener is likely to find theirselves identifying with. This culmination hearkens to the opening track, “The Spaces In Between”, leaving the listener to contemplate not only what was learned of Rheaume and Métis peoples throughout, but also of oneself, relation to the bigger picture and joyful existence in the spaces in between – spaces that this album so wonderfully helps to illuminate.
(www.partonandpearl.com)
Konzerthighlight: Karo, Wesel, 01.05.2023
Eine Neuentdeckung für mich ist diese kanadische Sängerin und Songschreiberin, die gestern mit ihrer großartigen Band einen
überzeugenden Gig im wunderbaren Weseler Karo hingelegt hat. Zu dem Gig bin ich mit Drummer Locke eigentlich nur aus pragmatischen
Gründen gefahren, nämlich um dort die Plakate für unseren eigenen Auftritt mit W4L in drei Wochen abzugeben. Also war die
Erwartungshaltung überschaubar. Allerdings war Miss Rheaume (spricht man/frau wohl [Ri-O-Mi] aus) dann aber so dermaßen gut, dass
ich mir doch glatt 20 Oiro von meinem Trommelbuddy leihen musste, um mir dieses tolle Platte auf Vinyl leisten zu können!
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Element Of Crime: "Morgens Um Vier" (Universal/Vertigo Berlin, Apr. 2023) |
[Isolation Berlin]
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Element Of Crime hat es immer schon gegeben; bevor sich die Band vor Jahrzehnten gegründet hat, hat man diese Musik wohl schon in sich drin gehört. Lässigkeit mit Herz, Wippen mit Schnauze, Unangestrengtheit auf die Spitze getrieben, aber niemals schlampig.
Element Of Crime ist ein Lebensgefühl, ohne das die Welt weder denk- noch aushaltbar wäre. 2023 also ein neues Album »Morgens um vier«. Ich bin da neuerdings auch schon immer wach, nicht: noch, wie früher. Wir sind wohl alle bisschen stiller geworden, in den letzten Jahren: »Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder«, ja, muss man zugeben.
Und scheint es nicht vielen, als ob gerade der oder die Liebste eine Axt in den Händen hielte? Fast logisch, dass es die Katze ist, die fragt: »Leute, wo soll das enden?« Die Katze! Hoffe nur, jemand hat bald eine Antwort darauf. Bis dahin: Mitwippen, mitsummen, mitleiden, sich nicht erwischen lassen.
(Eva Menasse)
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Fenne Lily: "Big Picture" (Dead Oceans, Apr. 2023) |
[Megafaun]
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Die in Großbritannien geborene und jetzt in New York lebende Künstlerin Fenne Lily kündigt ihr neues Album »Big Picture« an und präsentiert die erste Single/Video »Lights Light Up«.
»Big Picture« ist ein großartiges und fesselndes Porträt der letzten zwei Jahre von Fenne. Das Album, das live im Studio von Co-Produzent Brad Cook in North Carolina aufgenommen wurde, beschreibt die Phasen der Liebe und wird zu einer Landkarte von Komfort und Klaustrophobie. »Das Schreiben dieses Albums war mein Versuch, eine Art Ordnung in die Katastrophe von 2020 zu bringen«, erklärt Fenne. »Indem ich die verletzlichsten Teile dieser Zeit dokumentierte, hatte ich das Gefühl, eine Art Autonomie zurückzuerlangen.« Diese Kollision von Ruhe und harter Realität wird in »Big Pictures Leadsingle ›Lights Light Up‹ deutlich, einem aufschlussreichen Bericht über die Liebe in ihrer besten Zeit.
Wie schon auf ›Breach‹ gibt auch auf ›Big Picture‹ mal die E-Gitarre, mal deren akustisches Schwesterinstrument den Ton an. Wobei die elektrifizierte Variante selbst verzerrt recht ruhig klingt und die ganze tolle Platte eher leise ausgefallen ist.
(Stereo, April 2023)
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Florence Besch: "Hi Now Hello" (Unique, März 2023) |
[Locas In Love |
Stefanie Schrank]
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KjellvanderTonbruket: "Fossils" (Startrack, Apr. 2023) |
[Nicolai Dunger |
E.S.T. |
Tonbruket]
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Christian Kjellvander kann auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken und gehört seit seinen Anfängen bei Bands wie Loosegoats und Songs of Soil zu den besten schwedischen Singer/Songwritern und Interpreten.
Ein wahrer Geschichtenerzähler mit einem ausgeprägten Sinn für Melodien, der häufig international auf Tournee ist. Tonbruket hat seit ihrer Gründung vor zehn Jahren eine beispiellose Serie von schwedischen Grammis gewonnen, vier in Folge. Die faszinierende Verschmelzung von psychedelischer Freiform, progressivem Rock, amerikanischer Roots-Musik und Jazz hat das Publikum in ganz Europa angezogen. Das ehemalige EST-Mitglied Dan Berglund hat die vierköpfige Band aus Mitgliedern von The Soundtrack of Our Lives und Wildbirds & Peacedrums (Andreas Werliin, Martin Hederos, Johan Lindström) zusammengestellt. Ihr Debütalbum »Doom Country« aus dem Jahr 2020 erhielt begeisterte Kritiken und war eines der Top-Alben in den Jahrescharts.
Mehrere Liveshows wurden gebucht, aber immer wieder abgesagt und die Band ist bis heute nicht live aufgetreten. Das zweite Album »Kjellvandertonbruket« wurde als Live-Session über vier Tage im Studio aufgenommen. Christian brachte seine losen Ideen zu den Musikern und es nahm seine endgültige Form im Raum an. Es ist da und wir sind eingeladen, uns die Session anzuhören. Im April wird die Band zum ersten Mal überhaupt live auftreten.
Die laufruhige schwarze Pressung bildet den differenzierten Sound und alle Instrumente gut ab.
(MINT, April 2023)
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Meg Baird: "Furling" (Drag City, Jan. 2023) |
[Espers |
Heron Oblivion]
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Niels Frevert: "Pseudopoesie" (Grönland, März 2023) |
[Zettel auf dem Boden |
Putzlicht]
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Das halluzinogen anmutende wie auch originelle Wort »Pseudopoesie« ist der Titel des 2023 erscheinenden Albums von Niels Frevert.
»Pseudopoesie«, ein bescheidener, skurriler und wohl vor Selbstironie sprühender Titel für Freverts siebtes Album, einem, der ganz klar als Held aller Liedtexterinnen und -texter deutscher Sprache dasteht. Ist das Koketterie oder etwa eine (Lebens-)Krise? Und warum lässt er seinem Prä-Covid-Erfolgsalbum »Putzlicht« einen so rasanten Nachschlag folgen? Aber warum auch nicht? Oder: weil er's kann!
Konzerthighlight: FZW, Dortmund, 13.05.2023
Meine Karte für das gestrige Konzert von Niels Frevert in Dortmund hatte ich schon lange bestellt.
Vor kurzem hatte ich außerdem mitbekommen, dass für den Freitag davor ein Auftritt von
Pete Astor im Grend in Essen-Steele angekündigt war. Das erste intensive
Konzertwochjenende seit mehreren Jahren konnte also beginnen ...
Während ich die Anreise und den Auftritt am Freitrag noch alleine genießen musste (für Pete Astor interessieren
sich nicht wirklich viele Leute in unseren Breiten) war ich gestern nach Dortmund mit meiner Schwester unterwegs.
Der Zug von Oberhausen nach Dortmund war leider voller grölender Fußballfans der Borussia vom linken Niederrhein
auf dem Weg zur anderen Borussia. OK – es gibt noch mehr Borussias, zum Bleistift Borussia Neunkirchen, aber Fußball
soll hier nicht das Thema sein.
Niels Frevert ist eines der wenigen musikalischen Themen, auf die ich mich mit meiner Schwester einigen kann,
weshalb wir auch schon zwei oder drei gemeinsame Konzertbesuche in den vergangenen Jahren hinbekommen haben.
Dieses Mal konnte ich auch Gerd, einen Ex-Mitstreiter bei Waiting For Louise in den 90ern und immer noch bzw. wieder
guten Freund, der außerdem im Dortmunder Umland wohnt, überreden mitzukommen. Im Vorfeld wollten wir uns in der City
in einem Biergarten treffen. Leider (und wenig überraschend) war aber auch dort alles voll Fußballfans, aber trotzdem
war ein sehr nettes und entspanntes Wiedersehen. Zu Fuß dann die kurze Strecke zum FZW. Das schöne Vorprogramm bestritt
eine junge, talentierte und bezaubernde Sängerin namens Klebe, mir bislang völlig unbekannt. Da ich alle am Merch-Stand
angebotenen Tonträger von Niels Frevert (natürlich!) bereits mein Eigen nenne habe ich dort die mit 12€ leicht überteuerte
Debüt Single von Klebe auf 7-Zoll-Vinyl gekauft, leider zu jetzigen Zeitpunkt noch ungehört. Klebe persönlich war zu Ende
des Frevert-Auftritts am Stand und wie ich es schon sagte: Klebe ist charmant, talentiert und ich war in sehr guter Stimmung.
Grund für meine gute Stimmung war natürlich der tolle Auftritt von Niels Frevert und seiner Band, vielleicht sogar der beste,
den ich bislang von ihm gesehen habe. Toller Sänger, tolle Band (die gleiche wie auf dem aktuellen Album! Das schafft nicht
jeder Künstler!), toller Sound und tolles Programm mit einer perfekten Mischung aus den neuen, rockigen Songs der letzten
Alben, mit denen ich (auf hohem Niveau!) ja etwas hadere, wie Leser meiner Plattentipps vielleicht wissen, und den Highlights
seiner etwas akustischer gehaltenen Alben von vor etwa 10 Jahre, die ich ja so überaus schätze.
Insgesamt eine tolles, wenn auch anstrengendes Wochenende.
(14.05.2023)
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CVC: "Get Real" (CVC, März 2023) |
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CVC (oder Church Village Collective in vollem Wortlaut) stammt aus einem verschlafenen Dorf 10 Meilen nördlich von Cardiff, das auf einem Hügel in den walisischen Tälern liegt. CVC besteht aus Sänger Francesco Orsi, Bassist Ben Thorne, Schlagzeuger Tom Fry, Keyboarder Daniel ›Nanial‹ Jones und den singenden Gitarristen David Bassey und Elliott Bradfield. Es ist erwähnenswert, dass die beiden Letztgenannten, obwohl sie sich nie begegnet sind, mit der walisischen Ikone Dame Shirley Bassey und James Dean Bradfield (Manic Street Preachers) verwandt sind. Vielleicht liegt es an den Genen, wenn Bassey sagt: »I don't think I'd be able to not do this, I don't actively choose to, I'm just drawn to it«.
Ihre üppigen dreistimmigen Harmonien spiegeln die Musik wider, mit der sie aufgewachsen sind - die Bausteine des zeitgenössischen Pop: die Beatles, Neil Young und die Beach Boys - reiche, melodische und unverfälschte Musik, die in der Rockgeschichte verwurzelt ist.
»Get Real«, das 11-Track-Debütalbum von CVC, bringt einen Hauch von Laurel Canyon in die Täler. In vier sonnenverwöhnten Wochen (als die Zeit abgelaufen war, mischte Ross Orton (Arctic Monkeys) das fertige Produkt) haben sie es in Bradfields Wohnzimmer aufgenommen!
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Macie Stewart: "Mouth Full Of Glass" (Full Time Hobby, Dez. 2022) |
[James Elkington |
Steve Gunn]
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»Mouth Full of Glass« ist das Debütalbum der Chicagoer Sängerin/Songwriterin, Komponistin und Multiinstrumentalistin Macie Stewart. Ihre Geschichte ist eine der Suche nach Trost und Stärke in der Einsamkeit, wo üppige Arrangements nach der Bedeutung des Selbst suchen. Macie erforscht die Einsamkeit, aber auch das Wachstum und die Schönheit, die aus ihr erwachsen, und bewertet in ihren inneren Meditationen ihre eigenen Beziehungen mit einer einzigartigen Stimme, die für jeden wahr klingen könnte.
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Tex Perkins & The Fat Rubber Band: "Other World" (Beast, Febr. 2023) |
[The Beasts Of Bourbon |
The Cruel Sea]
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In den Jahren 2020 und '21, in denen Tex Perkins viel zu viel Zeit zum Nachdenken hatte, fand er immer Trost in der kreativen Umgebung von Songs. Mit seinem Freund Matt Walker als Co-Autor und Mitverschwörer schwelgte Perkins in der Erfahrung, die zur Gründung und Aufnahme des ersten Fat Rubber Band-Albums in den Walker & #39's Stovepipe Studios mit Bassist Steve Hadley, Schlagzeuger Roger Bergodaz und Perkussionist Evan Richards führte. Nach einer solch positiven und kreativen Erfahrung juckte es Perkins in den Fingern, mit der Arbeit an dem zweiten Album der Band, »Other World«, zu beginnen.
»Das erste Fat Rubber Band-Album war absichtlich ein wenig zerlumpt. Ein bisschen unscharf an den Rändern«, sagt Perkins. »Jetzt haben wir eine gewisse Reife, mit der wir Ideen sehr schnell umsetzen und in Form bringen können. Wir sind eine richtige Band geworden. Ich denke, was man auf dem ersten Album gehört hat, ist die Band, die sich formiert hat.« Er hat zwar schon mit vielen Musikern zusammengespielt, aber wahre Kollaborateure zu finden, ist etwas, das Perkins sehr schätzt. Während der Lockdowns dachte er darüber nach, ob er jemals wieder diese alltägliche Erfahrung als Musiker machen würde.
Bei The Fat Rubber Band handelt es sich nicht nur um eine weitere Gruppe von Musikern, die zusammen Musik machen, sondern um eine Zusammenkunft, bei der es um Kopf, Herz und Seele geht. »Roger Bergodaz war unglaublich. Sein Schlagzeug stand im Regieraum, und er hat die Platte so ziemlich gleichzeitig aufgenommen und Schlagzeug gespielt! Er schuf stets eine Umgebung, in der eine enthusiastische und positive Atmosphäre herrschte. Wir sind nie mit leeren Händen rausgegangen. Ich habe diese Platte so sehr geliebt«, sagt Perkins, »weil sie verdammt magisch war. Ja, das ist richtig, Magie oder wie wäre es mit Alchemie? (Eine mittelalterliche Wissenschaft mit einem geheimnisvollen Prozess, der versucht, unedle Metalle in Gold zu verwandeln.) Nun, ich weiß nichts über Gold, aber ich war Zeuge, wie sich Ideen, Gedanken, Launen und Vorstellungen fast mühelos in lebende, atmende Songs mit einer Seele und einem Herzschlag und sogar ihrer eigenen privaten Geschichte verwandelten, jedes Mal, wenn wir für diese Aufnahmen ins Studio gingen. Nein, eigentlich ist Magie besser.«
Perkins erklärt: »Diese Magie entstand mit Hilfe der über 40-jährigen Erfahrung jedes einzelnen Mitglieds der Fat Rubber Band. Sie sind alle wirklich großartige Musiker und sie sind alle wirklich großzügige Kollaborateure, also denke ich, was ich sagen will, ist, dass es keine Rolle spielt, was von hier an passiert. Ich bin mir sehr bewusst, dass es heutzutage mit Hunderten von neuen Veröffentlichungen pro Woche schwieriger denn je ist, die Leute dazu zu bringen, sich für ein neues Album von irgendjemandem zu interessieren, ganz zu schweigen von einem Haufen haariger Typen in den Fünfzigern aus Australien, die von einem Kerl namens Tex angeführt werden, den es schon seit den frühen Achtzigern gibt. Eigentlich kann ich nicht glauben, dass du das immer noch liest! Aber das ist ja auch egal, ich habe die Magie gesehen.«
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Iris DeMent: "Workin' On A World" (Flariella, Febr. 2023) |
[Infamous Angel |
Modern Times]
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Auf ihrem transzendenten neuen Album »Workin' On A World« stellt sich Iris DeMent der modernen Welt - so wie sie jetzt ist - mit ihrer Klimakatastrophe, pandemischen Krankheiten und einer Epidemie von Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit - und fragt uns nicht nur, wie wir weiter auf eine bessere Welt hinarbeiten können, sondern bittet uns auch, einander zu lieben, trotz unserer sehr unterschiedlichen Sichtweisen.
Als die in Arkansas geborene und in Los Angeles aufgewachsene Songwriterin Iris DeMent Mitte der Achtziger mit dem Auto durch eine ausgestorbene Stadt irgendwo im Mittleren Westen fuhr und auf die vielen mit Brettern vernagelten Fenster und Türen schaute, lernte sie, was es bedeutet, wenn einen die Inspiration heimsucht. Sie schrieb einen Song über diese Stadt, der so viel besser war als alles, was sie bis dahin zu schreiben versucht hat. Das Ergebnis, „Our Town“, war der Startpunkt für ihr erstes Album „Infamous Angel“ (1992) und war später in der herzzerreißenden Schlussszene der besten Fernsehserie (mindestens) der 90er-Jahre, „Northern Exposure“ (dt. „Ausgerechnet Alaska“), zu hören (hier kann man die Szene sehen). Seit ihrer Erfahrung mit „Our Town" ist Iris DeMent geduldig, kann warten, bis die Inspiration sich einstellt. In den Neunzigern reichte die immerhin für drei sehr gute Alben, für die sie von Meistern ihres Faches wie John Prine und Merle Haggard geschätzt wurde. Dann dauerte es ganze 16 Jahren bis zum nächsten Album mit eigenen Songs – ihrem Meisterwerk „Sing The Delta“ (2012, dazwischen erschien das schöne Cover-Album „Lifelines“, 2004). Drei Jahre später veröffentlichte sie ihre Vertonungen einiger Gedichte der russischen Dichterin Anna Akhmatova („The Trackless Woods“, 2015), und vermutlich hätten wir noch sehr lange auf ein neues Album mit DeMent-Orginalen warten müssen, wenn ihre Stieftochter, die Songwriterin Pieta Brown, sich nicht die Aufnahmen neuer Songs angehört hätte, die DeMent 2019 und 2020 mit den Produzenten Richard Bennett und Brad Jones in Nashville gemacht und verworfen hatte. Brown hörte da ein neues Album, DeMent vertraute ihr und nahm noch ein paar weitere Stücke auf, um „Workin‘ On A World“ zu einer runden Sache zu machen. „And these waves of inspiration/ Sure can be few and far between”, singt sie an einer Stelle. „Like a train that just won't leave the station/ They resist my plans and schemes/ But I'm not holding back nothin' anymore/ And I'm done with being afraid of being bled/ Use me up while I am living, Lord/ Let's not leave nothin' for the dead.” Inspirationen für diese Songs gab es viele – allen voran die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die Folgen. „I got so down and troubled/ I nearly lost my head“, beginnt der eröffnende Titelsong. „I started wakin' every morning/ Filled with sadness, fear and dread/ The world I took for granted/ Was crashing to the ground/ And I realized I might not live long enough/ To ever see it turn around.“ „Workin’ On A World” ist zugleich ein tröstendes und ein kämpferisches Album mit Honky-Tonk-Klavier, Gospelbläsern und Texten, die mit Wut, Verzweiflung und gesundem Menschenverstand nicht hinterm Berg halten – wie die grandiose achtminütige Suada „Goin' Down To Sing In Texas", die musikalisch auch auf Dylans „Modern Times“ einen Platz hätte haben können. Und wie bei Joe Henrys jüngstem Meisterwerk „All The Eye Can See“ wohnt diesen Stücken etwas Kirchenliedhaftes inne – doch sie verharren hier nicht in der Dunkelheit, sie streben zum Licht.
(Maik Brüggemeyer, ROLLING STONE-Wohnzimmer, Folge 32 vom Newsletter, 27.02.2023)
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Robert Forster: "The Candle And The Flame" (Tapete, Febr. 2023) |
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Der gefeierte australische Singer-Songwriter Robert Forster kündigt 2023 sein 8. Soloalbum »The Candle And The Flame« an.
Es ist ein Album, bei dem Forster einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat als bei seinen früheren Werken. Die erste Single trägt den Titel »She's A Fighter«. Sie enthüllt nur einen Teil dessen, was zu einer Reise wurde, auf der er mit seiner Familie und seinen Freunden Musik machte, um Freude und Trost im Angesicht von Widrigkeiten zu finden.
Robert erklärt: »›She's A Fighter‹ ist der letzte Song, den ich für das Album ›The Candle And The Flame‹ geschrieben habe. Ich schrieb die Musik dafür im Juni 2021. Ich mochte die Melodie und die schnelle Energie des Songs, aber ich wusste noch nicht, wovon er handeln würde. Anfang Juli erhielt Karin Bäumler, meine Frau und musikalische Begleiterin seit zweiunddreißig Jahren, eine Krebsdiagnose. Ende Juli, als eine Reihe von Chemotherapien anstand, sprach Karin davon, dass sie um ihre Gesundheit kämpfte und einen Weg durch die Chemotherapie zur Genesung fand.
Der Satz ›She's A Fighter‹ kam mir in den Sinn. Er gefiel mir. Und ich wusste sofort, dass er zu meiner neuen Melodie passen würde. Ich brauchte nur noch eine weitere Zeile für den Text. ›Fighting for good‹. Der Song war fertig. Ich hatte meinen ersten Zwei-Zeilen-Song geschrieben. Ich hatte gerade die Ramones in den Schatten gestellt! Weil der Song so viel Bedeutung für uns hat, beschlossen wir, ihn als Familie aufzunehmen. Das ist das einzige Mal, dass das auf dem Album passiert. Karin singt und spielt Xylophon. Unsere Tochter Loretta spielt E-Gitarre. Unser Sohn Louis spielt Gitarre, Bass und Percussion. Und ich schlage wild auf einer akustischen Gitarre herum und singe. Und das ist ›She's a Fighter‹.«
Dieses musikalische Zusammenkommen als Familie wird im Video zu »She's A Fighter« festgehalten. »Das Video wurde im selben Studio (Alchemix Studios, Brisbane) gedreht, in dem auch das Album aufgenommen wurde. Es gibt also eine Kontinuität«, so Forster. »Und die Art und Weise, wie die vier im Kreis sitzen und spielen, ist sehr ähnlich, wie wir ›She's A Fighter‹ und andere Stücke auf dem Album aufgenommen haben.«
»The Candle And The Flame« besteht aus 9 Songs, die von Robert geschrieben wurden. Produziert wurde das Album von Robert, Karin Bäumler und Louis Forster (The Goon Sax), abgemischt wurde es von Victor Van Vugt (Nick Cave and The Bad Seeds, PJ Harvey) und mitgewirkt haben die ehemalige Go-Betweens- und Warm Nights-Bassistin Adele Pickvance sowie Scott Bromiley und Luke McDonald (The John Steele Singers), die bereits an Roberts Alben »Inferno« und »Songs To Play« mitgearbeitet haben. »Die Aufnahmesessions für das Album fanden sporadisch über sechs Monate statt. Manchmal nur ein oder zwei Tage pro Monat. Das war alles, was Karins Kraft und ihr Zustand zuließen. Wir mussten also live aufnehmen, magische Momente einfangen und auf Gefühl setzen. Und das ist der Sound des Albums geworden«, sagt Robert.
Robert Forster plant für das Jahr 2023 Konzerte in Australien und im Ausland, deren Termine bald bekannt gegeben werden. Zurzeit schreibt er an einem Roman und bereitet die Veröffentlichung von Band 3 der Go-Betweens Boxset Serie vor, ›G Stands For Go-Betweens‹.
Konzerthighlight: Stadtgarten, Köln, 30.03.2023
Gestern war ich endlich mal wieder bei einem Konzert eines meiner Lieblinxkünstler. Robert stand in Köln im Duo mit
seinem Sohn Louis auf der Bühne, der ja selber auf dem Weg ist zu einer musikalischen Karriere, zuletzt mit
seiner Band The Goon Sax. Was soll ich sonst noch so erzählen? Eigentlich war ich mit W4L-Bassist Johannes für das
Konzert verabredet, der aber kurzfristig absagen musste. W4L-Drummer Locke sprang mutig in die Bresche, übernahm uneigennützig
die Karte für das ausverkaufte (!) Konzert und machte mir mit seinem Angebot, uns beide nach Köln zu schoffieren noch
ein schönes Geburtstagsgeschenk. Und Robert ... war eben Robert, so wie immer. Wenn man virtuoses Gitarrenspiel erwartet,
dann ist man in einem seiner Konzerte wohl fehl am Platze. Wenn man aber einen großen Künstler mit einem tollen Songkatalog
erleben will und charmant spröde Geschichten in und zu den Liedern liebt, dann ist man hier richtig. Und frau auch, natürlich.
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Yo La Tengo: "This Stupid World" (Matador, Febr. 2023) |
[Popular Songs |
Fade]
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Gar nicht so dumm
Die amerikanische Indie-Rock-Institution Yo La Tengo veröffentlicht mit »This Stupid World« ein gleichermaßen typisches wie dringliches Album.
Das Trio um Gitarristen und Sänger Ira Kaplan hat auf seinem 17. Studioalbum erstmals komplett auf einen Produzenten oder externen Mischer verzichtet. Alle Songs wurden gemeinsam live im Studio aufgenommen, wodurch »This Stupid World« wunderbar natürlich und direkt klingt.
Immer ruhig bleiben
Yo La Tengo gehören zweifelsohne zu den großen Institutionen des Indie-Rock. Seit fast 40 Jahren ist die Band aus Hoboken New Jersey schon aktiv, mehr als 30 davon in der Trio-Besetzung, bestehend aus den Eheleuten Ira Kaplan und Georgia Hubley nebst Bassist James McNew.
Zuletzt haben die drei eine EP und ihr improvisiertes Ambient-Album »We Have Amnesia Sometimes« veröffentlicht, die beide während der Corona-Pandemie entstanden sind. Nun legen Yo La Tengo mit »This Stupid World« das erste »reguläre« Album seit fünf Jahren vor, ihr 17. insgesamt.
Fans der Band werden sich in den neun neuen Songs direkt heimisch fühlen. Manchmal leicht angeschrägter Indie-Rock, dessen Sound simpel und eingängig wirkt, obwohl sich in den vielen Schichten eine Menge Details finden lassen. Die vorab veröffentlichten Singles »Aselestine« und »Sinatra Drive Breakdown« stecken das Feld von »This Stupid World« sehr gut ab. Yo La Tengo wissen einfach, was sie tun und haben hier ein weiteres Karriere-Highlight abgeliefert.
Die größte Neuerung ist vielleicht der sehr direkte Sound des Albums. Erstmals in ihrer langen Geschichte hat das Trio gänzlich ohne externen Produzenten und Mischer gearbeitet und alles selbst in die Hand genommen. Das Ergebnis klingt wunderbar organisch und passt zum entschleunigten Vibe von »This Stupid World«.
Auf This Stupid World hört man Musik, die atmet, die Aufmerksamkeit einfordert und als Ganzes ein bewusstseinserweiternder Trip ist. Sobald man durch die multiplen Schichten zum Kern vorgedrungen ist, entfaltet sich ein Album voll enigmatischer Schönheit.
(VISIONS, Februar 2023)
Konzerthighlight: Gloria, Köln, 23.04.2023
Yo La Tengo habe ich ja inzwischen schon ein paar mal live gesehen. Erinnern kann ich mich an das ZAKK in Düsseldorf 2009 zum Album
"Popular Songs" und den Landschaftspark in Meiderich, allerdings ohne eine genaue Erinnerung, wann das war. Die Konzerte waren immer
gut, immer anders, immer sehr spannend. Gestern in dem ehemaligen und sehr gut gefüllten Kölner Kinosaal war das nicht anders. Seit
nunmehr fast 40 Jahren ist die Band nun schon dabei und immer noch wild und kreativ. Im ersten Set gab es vor allem Lieder vom neuen
Album, oft sehr leise und zerbrechlich und in ihrer Verweigerung von Rockklischés nicht unbedingt leicht geniessbar für ein Mainstream-Publikum.
Nach einer Pause wurde es dann SEHR LAUT - und blieb spannend. Schön zu beobachten wahr auch, wie sich jeder der drei Musiker mal am
Instrument eines Kollegen versuchen durfte - ohne den Flow irgendwie zu unterbrechen. Mit zwei kleinen Ausnahmen: nur James McNew
hat sich den Bass ungehängt und nur Ira Kaplan hat sich nicht am Sclagzeug versucht, dem Hauptbetätigungsfeld seiner Bühnen- und Lebenspartnerin
Georgia Hubley.
(25.04.2023)
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Joe Henry: "All The Eye Can See" (earMUSIC, Jan. 2023) |
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Joe Henry ist nicht nur ein erfolgreicher Musiker, sondern auch Produzent für Künstler wie Solomon Burke (Grammy Award!), Hugh Laurie, Aimee Mann, Rodney Crowell und Elvis Costello. Auf »All The Eye Can See« wird Henry von mehr als 20 Musikern begleitet, darunter seine langjährigen musikalischen Weggefährten und Freunde - Levon Henry am Saxophon und an der Klarinette, David Piltch am Bass, Patrick Warren am Klavier und an den Tasten sowie John Smith an der akustischen Gitarre. Intim, hochemotional, erstaunlich ruhig, mit einfachen, aber gekonnten Melodien, berührenden Texten mit 14 neuen und unvergesslichen Songs.
... verpackt [...] die betörenden Melodien seiner düster autobiografischen Geschichten in erstaunlich ruhige Arrangements.
(Good Times, Februar/März 2023)
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Wilco: "Cruel Country" (dBpm, digital: Mai 2022 * CD/Vinyl: Jan. 2023) |
Die Jahrescharts 2022: Platz5im Rolling Stone!
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Die innovative Chicagoer Rockband Wilco kehrt mit ihrem 12. Studioalbum zurück, dem ersten seiner Art. Cruel Country ist die Erkundung des Genres, durch das sich die Band oft definiert hat, das sie aber bis jetzt nie vollständig verinnerlicht hat. Das Doppelalbum enthält 21 Tracks aus der Feder von Jeff Tweedy, die fast vollständig aus Live-Aufnahmen bestehen, die zum ersten Mal seit dem 2011 erschienenen Album The Whole Love mit allen sechs Bandmitgliedern gemeinsam im The Loft entstanden sind.
Das 12. Album von Wilco hat bisher einen unglaublichen Weg hinter sich. Ursprünglich wurde es den Solid Sound-Teilnehmern kostenlos zur Verfügung gestellt, gefolgt von einer digitalen Veröffentlichung am 27. Mai (demselben Tag, an dem die Band es in seiner Gesamtheit live auf dem Festival aufführte). Von der NYT als Wilcos »unaufdringliches Magnum Opus« gelobt und später am Record Store Day als White Label CD veröffentlicht. Jetzt landet es in guter Gesellschaft auf den »Best of 2022«-Listen von Rolling Stone, Variety, Spin, Uproxx und Paste UND seine lang erwartete physische Veröffentlichung ist fast da!
Schon früh, als sie aus Uncle Tupelo hervorgingen, gab es die Idee, dass Wilco eine Country-Band sei, oder zumindest eine alternative Country-Band. Und es gibt Beweise dafür - »in allem, was wir je gemacht haben, gab es Elemente von Country-Musik«, sagt Jeff Tweedy. »Wir haben uns nie besonders wohl dabei gefühlt, diese Definition zu akzeptieren, die Idee, dass ich Country-Musik mache. Aber jetzt, nachdem wir ein paar Mal um den Block gegangen sind, finden wir es aufregend, uns innerhalb der Form zu befreien und die einfache Einschränkung zu akzeptieren, die Musik, die wir machen, Country zu nennen.«
»Cruel Country« besteht fast vollständig aus Live-Aufnahmen, mit nur wenigen Overdubs. Alle - Tweedy, John Stirratt, Glenn Kotche, Mikael Jorgensen, Pat Sansone und Nels Cline - waren im Raum und spielten zusammen im The Loft in Chicago, ungetrennt durch Schalldämpfer. Es ist eine völlig andere Art, Platten zu machen, die Wilco seit Jahren nicht mehr verwendet hat - vielleicht nicht mehr seit »Sky Blue Sky«.
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James Yorkston, Nina Persson and The Second Hand Orchestra : "The Great White Sea Eagle" (Domino, Jan. 2023) |
[The Wide, Wide River]
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(2023-05-29)