"Stäfa/CH" ist der Mitschnitt eines Live-Konzertes aus dem Kulturkarussells Rössli in, genau, Stäfa. Das liegt am Zürichsee, übrigens.
Aufgenommen im Oktober `99, ist dies nicht ein üblicher, liebloser Live-Mitschnitt - lebendig zwar, aber diszipliniert, in 1A-Qualität. Was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass LIWA in all seiner Klarheit und verzweifelter Rechtschaffenheit pur und unverfälscht präsentiert wird. Solo. Der Königsweg: Ein Mann, eine Gitarre, ein ganz kleines bisschen Piano, ein Herz und Lieder. Lieder von unaufdringlicher Grösse, Lieder, die dem Hörer unvermittelt seinen Platz als Krümel im Kosmos zuweisen. Ohne dies wirklich zu wollen. Man wird unwillkürlich demütig, wenn LIWAs Persönlichkeit sich durch seine Songs offenbart. Immer schon war es eine Glaubensfrage unter den Begeisterten: ist Tom nun mit Band oder doch eher ganz allein, ganz auf sich selbst bezogen, der wahre LIWA. Die Antwort: Es geht beides. Aber solo, das kann ich Euch sagen, ist der Mann nicht einer von vielen im Paradies der Ungeliebten.
Seitdem er anno tobak mit den Flowerpornoes das krude, an Realitäten und emotionalen Machbarkeiten geschulte eher un-dramaturgische Element in ein ansonsten sich eher durch Stile definierendes Pop-Umfeld einbrachte, habe ich mich immer mal wieder für ihn interessiert. Immer war er weniger schnoddrig/lakonisch als Tilman Rossmy, weniger abseitig/cool als Nils Koppruch, weniger, nunja, Pop-Diskurs als Jochen Diestelmeyer. Mamas Pfirsiche, mein Gott, dieses Cover. Und überhaupt: Habt ihr TOM LIWA mal live gesehen? Immer eine Freude. Ich durfte ihn zuletzt beim Haldern Open Air auf einer grossen, grossen Rockbühne erleben. Ganz alleine stand er da, zur besten Zeit. Spielte zwischen all den lauten, hippen, mindestens achtköpfigen "Acts". Und selten habe ich jermanden eine solch haarsträubende Situation mit solcher Würde meistern sehen. "Abgeklärtheit" ist da das falsche Wort, es hatte fast etwas Sprirituelles, wie die Menschen ihm tatsächlich zuhörten, nicht nur, weil er, so einsam und verlassen, ihnen in diesem Rahmen u.U. leid tat. Ich & ich eben. Er hat es einfach gemacht.
Auf "Stäfa/CH" sind die Bedingungen andere, einfache. Sein Terrain. Er lässt sich nicht zu Routine hinreissen. Er ist ganz da. Auch hier ist LIWA der zarte, kleine grosse Mann. Der keine Aussage darüber zulässt, ob er nun nach wie vor verletzlich Leid zu Lied macht, oder ob er, gestählt durch das Leben als solches, mit allem, was so dazugehört, sich in einem sakrosankten Taumel wiederfindet. Hatte man bei Christian Brückners Version von "Wir haben die Musik" (gesprochenes Wort, auf LIWAs letztem Album "St. Amour") irgendwie störenderweise den DeNiro vor sich, war das also immer etwas zu viel des Guten, so hört man hier LIWA selbst wirklich zu, ohne abstrahieren zu müssen. Das ist Wahrhaftigkeit, wie sie nur wirklich Gute auszeichnet. Sonst noch: "Stunde des Zweifels", aus dem Ungeliebten-Paradies bekannt. Und eine Auswahl sehr stilsicher dargebotener Coverversionen, Nick Drakes "Northern Sky" etwa, oder zwei eher weniger populäre Songs von eher sehr populären Grössen: Dylans "New Pony" (von "Street Legal") und Neil Youngs "Little Wing" (von "Hawks & Doves"). Zehn weitere unbekannte oder neue LIWA-Originale, einige davon eher Miniaturen, einige ausgearbeitete Geschichten, sind hier nie "für die linke Spur zu langsam, für die rechte Spur zu schnell". Ein durch und durch schönes Album. Wie der Mann, so sein Werk: Würdevoll und gross.
Die Welt: Bereichert.
(Glitterhouse)