Ich habe den Himmel gesehen, von jetzt an werde ich nur noch lächeln. Als Hörer mit weit offenem Herzen für alles, was musikalisches Vermögen atmet, gefällt mir vieles; das letzte Mal aber, dass mich etwas wirklich tiefgehend und nachhaltig überrascht hat, ist lange her. Und das Duo Cherilyn McNeil und Darryl Torr hat mich nicht nur überrascht – die britisch-stämmigen Musiker aus Johannesburg haben mich mit Macht, Wucht, Liebe und Gefühl überfahren und beglückt zurückgelassen. Seit ich den Song Dearheart erstmals hören durfte, verfolgt mich die Stimme Cherilyns bis in meine schönsten Träume, aber es ist eben nicht nur dieser traumhafte, oft in überwältigenden mehrstimmigen Harmoniesätzen schwelgende, glockenklare Gesang, der das Erlebnis Dear Reader zum Paradies für alle wahren Musik-Jünger macht. Die zehn Songs, die dieses Debut wie einen Diamanten strahlen lassen, sind ungemein vielschichtig, immer wieder überraschend, stil-schillernd, reich an herrlichen Melodien, gleichzeitig perfekt produziert und dennoch kantig und rauh genug, um handfest und greifbar zu bleiben. Es ist ein wenig so, als ob sich jemand hingesetzt hätte, um die perfekte Platte für mich zu ersinnen: Eine Frauenstimme, die träumen macht, Klavierspiel, das in jeder Note von Erfahrung und Können kündet, Gesangssätze, die ebenso Gospel-Wärme wie Händel’sche Größe atmen, Arrangements, die vor musikalischen Ideen sprühen, mühelos Elemente aus Folk, Country, Pop und Rock verbinden und mal schwelgerisch, mal knochen-knarzig Geigen, Banjo, Harmonium, Orgel, polterndes Schlagwerk, grobe E-Gitarren zu Wort kommen lassen und barocke Größe, rauhe Violent Femmes-Attitüde, theatralische Sparks-Tragik, Rumpel-Wurzel-Bluegrass, engelsgleichen Sanft-Pop und progressive Klang-Wellenberge von Godspeed You Black Emperor-gleicher Wucht vereinen. Vom ersten Moment an war ich diesem einzigartigen Charme, dieser ganz eigenen musikalischen Sprache verfallen, bei jedem Hören wächst die Abhängigkeit, und: Ich bin glücklich.
(Glitterhouse)
Großes Land, noch größere Probleme. Die Negativ-Schlagzeilen samt Horrormeldungen, die Südafrika in regelmäßigen Abständen macht, stehen in keinem Verhältnis zur Pop-Szene. Die nämlich ist trotz internationaler Größen wie Howard Carpendale, Johnny Clegg und der verstorbenen Ikone Miriam Makeba vor allem im Indiebereich mehr als überschaubar. Da kommt nun das Duo Dear Reader und präsentiert mit Replace Why With Funny ein derart hinreißendes Debüt, dass man ohne Hintergrundswissen denkt, die müssen doch aus den Hochburgen von Kanada, England oder den USA stammen. Sängerin Cherilyn McNeil und der Grammy-Preisträger Darryl Torr gehören als Weiße zu einer ethnischen Minderheit im eigenen Land, zu dem sie eine Hass-Liebe hegen und dessen musikalische Kultur komplett ausgegrenzt wird. Nicht einmal das hymnische, von Chören getragene „The Same“, das so viele unbeantwortete Fragen an die Heimat stellt, bildet da eine Ausnahme. Dear Reader aus Johannisburg machen unterstützt von Brent Knopf (Menomena) Pop-Musik wie so viele schlaue junge Menschen zwischen London und New York, zwischen Toronto und Reykjavik. Dabei nimmt einen Replace Why With Funny nicht im Galopp mit oder überrennt einen, es hat mehr etwas von einer Schnitzeljagd. Gerade die prägnante Stimme von McNeil drängt sich derart in den Vordergrund, dass die kleinen Eskapaden und großen Gesten, die verschwurbelten Klangspielerein, die ewigen Tempowechsel, das Wogen zwischen Euphorie und Melodramatik mit all ihren Details überhört werden. Was nun wirklich unerhört wäre.
(Sven Niechziol, amazon)
Dear Reader bestehen aus Cherilyn McNeil und Darryl Torr (live stößt noch Schlagzeuger Michael Wright dazu), die in Johannesburg leben - wie der Großteil dort, hinter enorm hohen Mauern und Stacheldraht, in der ständigen Gefahr, Opfer von Gewalttaten und Raubüberfällen zu werden.
„We live in constant fear“ ist in Südafrika kein einfach so dahin gesagter Satz, sondern eine Tatsache. Seit das Land mit der höchsten Kriminalitätsrate der Welt in den letzten Jahren flutartig unter vielen Millionen von Flüchtlingen aus Botswana, Mosambik und anderen Nachbarstaaten ächzt, ist es mit der ständigen Gewalt nur noch schlimmer geworden.
Zusammen mit Menomena's Brent Knopf verschanzten sich Dear Reader hinter den meterdicken Mauern der South African Broadcasting Company (SABC), einem staatlichen Radiosender, um ihr Debuet "Replace Why With Funny" aufzunehmen. Ein Album, das mit seiner Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit entschieden in die Kategorie der „Grower“ gehört. Oberflächliches Hören führt zu gefährlicher Vorverurteilung, denn die Produktion ist enorm glatt, und die junge Dame hat eine mächtige Stimme. Jedoch tun sich in Sachen Songstruktur und Arrangements schnell tiefe Abgründe auf, die bei genauerem Studieren hinein in eines der schönsten und emotionalsten Alben führen, das je auf City Slang veröffentlicht wurde.
Songs wie "Dearheart" oder "Great White Bear" fangen durchweg sehr “light“ an, um sich im weiteren Verlauf in mächtige und dramatische orchestrale Anordnungen zu steigern. Da türmen sich geschichtete Chöre neben Waldhörnern und enorm dicken Geigen. Jeder einzelne Song auf diesem Album ist eine Skulptur für sich, in liebevoller Feinarbeit von den drei Musikern im Studio zurecht gefeilt, aufeinander getürmt und angeordnet worden. Eine Meisterleistung in Sachen euphorisierter Arrangeurskunst.
Wie schreibt die Band auf ihrer Myspace Seite in der Rubrik sounds like: „...when you feel so much that you think you might explode and then laugh at yourself for being such a melodramatic douchebag!“. Genauso klingt das.