Archiveintrag #8231 (440844) | |||||||||||||||||||||||
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Vor einiger Zeit schickte mir ein gewisser Mike Taylor aus San Francisco zwei unveröffentlichte CDs. Die eine war „Ventura Whites“ seiner Band Court And Spark, die zweite war Boxharp, ein Projekt von Taylor und dem Produzenten Scott Solter, enstanden nach den C&S Sessions. Die Entwicklung von „Ventura Whites“ zu „The Tailored Soldier“ war enorm, quasi als hätte jemand die Burrito Brothers mit Mark Hollis im Studio kaserniert. So ernteten beide CDs schließlich das Glitterhouse Logo. Nach den Aufnahmen von „Ventura Whites“ machten sich Taylor und Solter auf, um eine Woche in Solter´s Hütte im Tonto National Park in Payson, Arizona zu verbringen. Bewaffnet mit einer akustischen Gitarre, mehreren Tüten Grass, einem analogen Aufnahmegerät und einer MC (auf der einen Seite ein Mix aus Patsy Cline und George Jones, auf der anderen Talk Talk´s „Laughing Stock“), wollten die beiden so viel Musik und Umweltgeräusche aufnehmen wie möglich. Zurück in San Francisco wurden vier Songs von Taylor herausgefiltert und Solter hat vier Sound-Collagen gebastelt. Diese acht Stücke wurden dann von der C&S-Posse und anderen Musikern aus der Bay Area per Overdub in wahre Country-Symphonien verwandelt.
Und dabei gelingt den beiden Vätern dieser Platte ein mir bislang in dieser Form noch nicht untergekommener Spagat zwischen Wurzelnektar reinsten Wassers und psychedelischem Luftsprung. Taylor singt, als wär er das Lieblingskind der Hütewerfer-Fraktion, die offenen Ohres rund ums Lagerfeuer sitzen, um seiner leicht knarzigen, welterfahrenen Stimme zu lauschen. Dazu liefert die Band volltönend und gepflegt ein Country-Ambiente, in dem die Pedal Steel singt und die Luft zittern macht, Geigen und Hammond B 3 tun das Ihrige, um die Roots zu pflegen und klanglich feinst darzureichen. Ein Piano wirft kleine Akkord-Perlen dazwischen und da beginnt es dann langsam, die angenehm gewohnten Pfade zu verlassen: zweistimmiger sphärischer Frauengesang legt einen Schleier von überirdischer Harmonie über das Stück, das schlicht und einfach der schnöden Realität enthoben wird. Und so hemdsärmelig bodenständig Stück Nr. 3 (Ventura Whites) losknarzt und shuffelt, spätestens bei den heulenden Windgeräuschen (die mich doch stark an die Plastikröhren erinnern, die man tonhöhenverändernd als Kind durch die Luft schwirren ließ) verläßt man den Boden der eingefahrenen Hörgewohnheiten. Und das Wunderbare bei dem Ganzen: Das Ergebnis dieser einzigartigen Grenzwanderungen bleibt ob seiner teils schlichten, teils ausgefeilten Schönheit fast nahtlos im Ohr hängen. Wobei die sanften Sirenengesänge ebenso ihren Teil an der Nachhaltigkeit haben wie die kernigen Gitarrenklänge.
Wo die harmonischen Klangexperimente in den Stücken beginnen, machen die Vignetten zwischen den Liedern weiter: Einsame Pianoklänge, Geräusche, die aus der Handwerkerküche zu stammen scheinen und dann wieder die hingehauchten Frauenchöre werden zu einem phantasieanregenden Klangbild vereinigt ... das Rattern eines Rades und ein rhythmisch feines Gitarrenriff schaffen eine fast unwirkliche Atmosphäre ... psychedelische Momentaufnahmen und experimentelle Miniaturen, die sich trotz allem in die harmonische Hörlandschaft einfügen. Dabei drängen sich einem stets Bilder auf, die von himmlischer Weite nur so triefen.
Selten ist mir in letzter Zeit eine Platte derart im Ohr hängengeblieben wie die Boxharp. Was auch nicht zuletzt an der Güte der Songs liegt, die mitunter ein derartiges Ohrwurmleben entwickeln, dass man sich wundert, warum so was nicht zum Hit wird. Aber darauf müssen wir alle wohl noch ein bisschen länger warten.
Boxharp klängen „wie Engel auf Valium, die durch das Gebälk des ehrwürdigen Ryman Auditoriums fliegen“, sagte mal ein Freund der Band. Und trifft es damit ganz genau.
Dieses Unterfangen, jetzt betitelt The Tailored Soldier, ist schlicht gesagt ein Meisterwerk zwischen naturbelassenen Roots-Klängen und hirnpeitschender Psychedelik, das so intensiv selbst Byrds oder Flying Burrito Brothers zu härtesten Drogenzeiten nicht erreichen konnte, und das eher an ein außerirdisches Drug-Meeting zwischen Holy Modal Rounders und Brainticket gemahnt. Bodenständige Intros führen in die Realität vollkommen enthobener Güteklasse 1-Mescalin/Acid-Trips, die genial mit allen Hörgewohnheiten (selbst aufgeschlossener Weirdos) brechen, aufgrund der starken Hooklines und der betörenden, Prozac-gleich wirkenden Hängenbleiber-Melodien, jedoch immer Kontak zur Bodenstation haltend. Zwischen Klangexperiment, verwehten Sirenenchören, leptosom-extraterristischen Pianolinien, traumhaften Pedal Steels, abgehobenen Gitarrenriffs und mystischen Geräuschen unterschiedlichster Couleur entstanden erregende Höruniversen, mit gesegneten Melodien gespeist, die mit diesem unseren Planeten nicht mehr viel gemein haben, aber in ihrer atemberaubenden, und irgendwie auch sexy Schönheit deine allerbesten Countryfreundinnen from Outta Space werden. Nach Hause telefonieren gilt hier nicht!“
(Notes)
With Boxharp, guitarist and vocalist M.C. Taylor took a short but sweet sabbatical from his main project, the Court and Spark, and teamed up with friend and engineer Scott Solter to record The Tailored Soldier, a collection of warm, atmospheric songs with sound collage experiments interspersed. The project is a smart one, drawing inspiration from the cabin in the country where the two escaped from the haunts of San Francisco. Taylor's songs carry as much weight and urgency as his output with the Court and Spark, and are complemented beautifully by the field recordings and aural portraits that weave to and fro, alternating real estate with the compositions on the disc. The opening track, "Church in Calhoun," is one of the most provocative, poetic, and heartbreaking pieces Taylor has set to tape. Wendy Allen, a frequent collaborator with Taylor, provides sublime, nouveau-Mary Ford backing vocals and brings sharpened relief to the tale of a fiddler's descent into vagrancy. The Tailored Soldier augments the Court and Spark's catalog quite nicely and should be considered a definite must-have for fans of the group.
(by Gregory McIntosh, All Music Guide)
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Erstellt: 07.2003 | Letzte Aktualisierung: 19.09.2021 17:44 | 74096 Besucher seit dem 12.09.2021 |
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