Auf ihrem transzendenten neuen Album »Workin' On A World« stellt sich Iris DeMent der modernen Welt - so wie sie jetzt ist - mit ihrer Klimakatastrophe, pandemischen Krankheiten und einer Epidemie von Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit - und fragt uns nicht nur, wie wir weiter auf eine bessere Welt hinarbeiten können, sondern bittet uns auch, einander zu lieben, trotz unserer sehr unterschiedlichen Sichtweisen.
Als die in Arkansas geborene und in Los Angeles aufgewachsene Songwriterin Iris DeMent Mitte der Achtziger mit dem Auto durch eine ausgestorbene Stadt irgendwo im Mittleren Westen fuhr und auf die vielen mit Brettern vernagelten Fenster und Türen schaute, lernte sie, was es bedeutet, wenn einen die Inspiration heimsucht. Sie schrieb einen Song über diese Stadt, der so viel besser war als alles, was sie bis dahin zu schreiben versucht hat. Das Ergebnis, „Our Town“, war der Startpunkt für ihr erstes Album „Infamous Angel“ (1992) und war später in der herzzerreißenden Schlussszene der besten Fernsehserie (mindestens) der 90er-Jahre, „Northern Exposure“ (dt. „Ausgerechnet Alaska“), zu hören (hier kann man die Szene sehen). Seit ihrer Erfahrung mit „Our Town" ist Iris DeMent geduldig, kann warten, bis die Inspiration sich einstellt. In den Neunzigern reichte die immerhin für drei sehr gute Alben, für die sie von Meistern ihres Faches wie John Prine und Merle Haggard geschätzt wurde. Dann dauerte es ganze 16 Jahren bis zum nächsten Album mit eigenen Songs – ihrem Meisterwerk „Sing The Delta“ (2012, dazwischen erschien das schöne Cover-Album „Lifelines“, 2004). Drei Jahre später veröffentlichte sie ihre Vertonungen einiger Gedichte der russischen Dichterin Anna Akhmatova („The Trackless Woods“, 2015), und vermutlich hätten wir noch sehr lange auf ein neues Album mit DeMent-Orginalen warten müssen, wenn ihre Stieftochter, die Songwriterin Pieta Brown, sich nicht die Aufnahmen neuer Songs angehört hätte, die DeMent 2019 und 2020 mit den Produzenten Richard Bennett und Brad Jones in Nashville gemacht und verworfen hatte. Brown hörte da ein neues Album, DeMent vertraute ihr und nahm noch ein paar weitere Stücke auf, um „Workin‘ On A World“ zu einer runden Sache zu machen. „And these waves of inspiration/ Sure can be few and far between”, singt sie an einer Stelle. „Like a train that just won't leave the station/ They resist my plans and schemes/ But I'm not holding back nothin' anymore/ And I'm done with being afraid of being bled/ Use me up while I am living, Lord/ Let's not leave nothin' for the dead.” Inspirationen für diese Songs gab es viele – allen voran die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die Folgen. „I got so down and troubled/ I nearly lost my head“, beginnt der eröffnende Titelsong. „I started wakin' every morning/ Filled with sadness, fear and dread/ The world I took for granted/ Was crashing to the ground/ And I realized I might not live long enough/ To ever see it turn around.“ „Workin’ On A World” ist zugleich ein tröstendes und ein kämpferisches Album mit Honky-Tonk-Klavier, Gospelbläsern und Texten, die mit Wut, Verzweiflung und gesundem Menschenverstand nicht hinterm Berg halten – wie die grandiose achtminütige Suada „Goin' Down To Sing In Texas", die musikalisch auch auf Dylans „Modern Times“ einen Platz hätte haben können. Und wie bei Joe Henrys jüngstem Meisterwerk „All The Eye Can See“ wohnt diesen Stücken etwas Kirchenliedhaftes inne – doch sie verharren hier nicht in der Dunkelheit, sie streben zum Licht.
(Maik Brüggemeyer, ROLLING STONE-Wohnzimmer, Folge 32 vom Newsletter, 27.02.2023)