Die Fortsetzung bzw. der zweite Teil von „The Stage Names“ – ursprünglich ja als
Doppelalbum geplant, jetzt aber doch im Jahresabstand in zwei Etappen veröffentlicht.
Und gleich vorweg: „The Stand Ins“ sind
nicht die liegen gebliebenen Songs, sondern ein komplettes und absolut
konsistentes Album, das Will Sheff endgültig
als einen der ganz Großen etablieren wird. Songwriting,
Gesang und Instrumentierung sind mittlerweile auf allerhöchstem Niveau,
der Mann hat das country-rootsige Indie-Lager mittlerweile weit hinter sich gelassen und
produziert großen Pop im Breitwandformat, ebenso aufwendig wie perfekt
und immer mit großer Geste inszeniert, alles höchst abwechslungs-
und kontrastreich. Es beginnt mit zwei üppig instrumentierten,
euphorisch gestimmten Pop-Hymnen: grandios und eingängig, die
Pop-Leichtigkeit mit komplexen Arrangements verbunden, die durchaus in der
Tradition von Brian Wilson bis Phil Spector stehen,
gerne auch mit frischem Seitenwind aus Richtung Motown.
Die melancholischeren Midtempo-Songs erinnern
dagegen an schwelgerische Momente von Coldplay und Radiohead – Sheffs Stimme
ist ohnehin eine der charismatischsten überhaupt, immer ein wenig quengelnd,
aber vorwärts stürmend und mitreißend. Das Ganze gebettet auf
einen rasanten Strom aus Bläsern, Streichern, Piano, Wurlitzer,
Xylophon und Pedal Steel, frei fließend auf musikalischen Wurzeln von
Beck bis Beatles. Seit er von Virgin gedropt wurde,
macht er genau die Alben, die sich jeder Major so dringend wünscht.
(Glitterhouse)
Es gab mal eine Zeit, da war die 7“-Single der Star. Auf der A-Seite fand sich der Hit, die B-Seite konnte zumeist vernachlässigt werden. Irgendwann wurden die kleinen von den großen, schwarzen Vinyl-Platten in der Käufergunst abgelöst. Manchmal gab es nur 30 Minuten an Musik, niemand beklagte sich, und nicht wenige Klassiker der Pop-Kultur haben die Länge einer Maxi-CD. Doppel-LPs waren übrigens recht selten. Und heute? Ist jede CD aufgrund ihrer digitalen Speicherkapazität proppevoll, obwohl es erwiesen ist, das noch kaum jemand einen ganzen Silberling durchhört. Was für eine Verschwendung an Zeit, sich auf der Suche nach erfreulichem oft durch akustischen Müll quälen zu müssen. Andererseits: Was für eine Verschwendung, wenn es sich um wirklich gute Songs handelt, die im Archiv oder Eimer verschwinden. Müssen sich auch Okkervil River gedacht haben, als sie 2007 ihren emotionalen, hochgelobten Befreiungsschlag The Stage Names veröffentlichten. Die Session verlief so fruchtbar, dass eine Fülle an Songs übrig blieb, die nicht nur den Rahmen gesprengt hätten, sondern auch nicht ganz einfach zu integrieren waren. So manche Band tut sich schwerer bei der Songauswahl und Festlegung der Reihenfolge, denn beim Komponieren. Okkervil River machen nun das einzig Richtige, sie schieben mit The Stand Ins einfach den zweiten Teil zeitversetzt nach. Nun kann im Plattenregal zusammen stehen, was zusammen gehört, denn dieses Album schließt sich nahtlos und ohne Qualitätsverlust The Stage Names an. Alles ist wieder da, ein paar Herzschmerzmomente, jubilierender Pop, wunderschöne Psychedelik-Momente, Verneigungen an die Talking Heads oder Dexys Midnight Runners. Wer es ausführlich will, liest einfach den Text zu The Stage Names nach, tauscht die Songtitel aus und hat The Stand Ins. Ein richtig gutes Album übrigens, dessen morbides Cover nicht so recht passen will.
(Sven Niechziol, Amazon.de)
Noch mehr belesener Indie-Folk-Rock von Okkervil River - die neue Platte THE STAND INS ist die Ergänzung zum großen letzten Album THE STAGE NAMES. Zusammen wird ein Doppelalbum draus.
Kein Jahr ist es her, da veröffentlichten Okkervil River ihr bislang schönstes Album THE STAGE NAMES. Schon der Titel der vorliegenden Platte deutet die Verwandschaft beider Alben an und führt die Studententheater-Metaphorik fort: nach den Bühnennamen nun also die Lichtdoubles. Entsprechend sollte man mit dieser neuen Platte der Indie-Bücherwürmer um den bebrillten Will Sheff also auch umgehen; THE STAND INS ist ein Weiterdenken von THE STAGE NAMES. Auf „Stand Ins One“, dem ersten von drei Instrumentals, folgt das umwerfende, vor angeknackster Romantik triefende „Lost Coastlines“, das etwas langsamer gespielt auch von den Everly Brothers stammen könnte. Ein früher Höhepunkt, den das Album leider nicht mehr toppen kann.
Was nicht heißt, dass der Rest schwach wäre: „Singer Songwriter“, ein fideler Neo-Country, singt das Lied einer verkorksten amerikanischen Familie, deren Geschichte man gerne mal von Wes Anderson verfilmt sähe. Mit dem Motown- esken „Starry Stairs“ kippt die Platte dann zu schwereren Stücken, was insofern schön ist, als sich hier zeigt, dass Okkervil River THE STAND INS als Album mit eigener Dramaturgie und nicht als Songsammlung betrachten. Auch toll: „Calling And Not Calling My Ex“, an dem sich bestens zeigt, wie sich bei dieser tollen Band Musik und Text spiegeln und brechen. Die Platte ist ein Sonderfall der Musikgeschichte: ein Doppelalbum, das gottseidank keines ist. Schließlich werden Alben nach Jahren der 70-Minuten-Exzesse in letzter Zeit aus gutem Grund wieder kürzer. So sitzen die beiden Platten wie ein Geschwisterpaar nebeneinander. Zwei ernste, wenngleich nicht humorlose, etwas zynische Brüder mit ungekämmtem Haar und Künstlerflausen im Kopf. Man darf gespannt sein, wie sich die Familie weiterentwickelt.
(Musikexpress, Kristina Koch - 25.09.2008)