Coldplay haben ein Leben lang gebraucht, um mit dem so wunderbar selbstbewussten
Debüt Parachutes zu landen. Aber es dauerte weniger als zwei Jahre,
bis das stimmungsvolle britische Quartett ein meisterliches Folgealbum
nachlieferte. Sie haben sich als Band auf ein Niveau entwickelt, auf dem
sie fast jeden ihrer Rivalen in Sachen Fantasie und emotionaler Ausdruckskraft
übertreffen. A Rush Of Blood To The Head ist eine gefühlvolle,
heitere Reise von dem begeisternden Rock "Politik" bis hin zu
den gedämpften Klängen von "Green Eyes", ohne ein
einziges Mal die faszinierende Wirkung zu stören. Der Sänger
Chris Martin treibt seine Stimme zu Höhenflügen an und erreicht
Ebenen, die eigentlich nur Jeff Buckley bisher anzustreben wagte. Die
Musik ist ganz einfach tadellos, eine überzeugende Kreuzung zwischen
Pink Floyd und The Verve. Selbst wenn sie nicht noch einmal mit so etwas
wie "Yellow" auftauchen, macht einem das überhaupt nichts
aus. Dies ist erstklassiges Material.
(Aidin Vaziri, www.amazon.de)
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Für...
Zugegeben, es wäre nicht besonders schwer, Coldplay zu hassen. Es
ist einfach, sich krudem Indierock hinzugeben oder irgendwann von sich
zu behaupten, dass man nur noch Click-Elektronik und die Melvins höre,
und direkten Pathos zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Und dazu
muss man noch nicht mal Nerd sein, es geht auch als charmante und eloquente
Person mitten aus dem Leben. Coldplay haben diese Erfahrung gemacht, von
Leuten, auf deren Meinung sie Wert legten, geringschätzig abqualifiziert
zu werden. Das erzählt Sänger Chris Martin in der Titelstory
dieser Ausgabe. Ihr Chartbreaker-Album "Parachutes' war ein Album
voller glasklarer, eingängiger Popsongs, und es erzeugte eine Atmosphäre
von schwülstiger Sentimentalität. Es schien einfach, diese Musik
ätzend zu finden oder sie bestenfalls zu belächeln. Doch es
wollte nicht so recht gelingen. Denn erstens ließ sich an der Attitüde
Coldplays trotz einiger Anstrengungen nichts Einfältiges finden,
und zweitens waren da diese großartigen Songs, diese wundervollen
Lieder, die noch beim hundertsten Durchlauf neue, oft zärtliche Empfindungen
produzieren konnten. Eine hohe Bürde also, doch, und jetzt sind wir
beim Punkt gelandet: Coldplay nehmen sie 2002 spielend. Vielleicht gehen
sie auch drum herum. Auf "A Rush ...' sind nicht alle Songs mit so
klarer Hookline ausgestattet wie beim Vorgängeralbum, es gibt mit
Ausnahme von "In My Place' keine Stücke, die für sich genommen
so funktionieren wie z. B. "Don't Panic', das Eingangsstück
der "Parachutes'-Platte. Die Stimmungen dieses Albums sind differenziert,
aber hochdramatisch, da ist kein Platz für billige Effekthascherei.
Die Arrangements sind voller. Mehr eine großartige Platte als eine
Ansammlung großartiger Songs. Eine Platte, die sich nicht so schnell
erschließt oder durch exponiert vermarktbare Hitsingles zerrissen
werden kann. Neue, spannende Facetten offenbaren sich hier nach und nach,
dieses Mal wird niemand so schnell die Songs schief nachpfeifen können,
was für ein Glück.
Tricky sagte mal in einem Interview über die Musik von Kate Bush,
sie berühre ihn da und da, und fasste sich dabei an Brust und Stirn.
Ein außergewöhnlich schönes Kompliment. Das trifft's auch
hier. Coldplay haben alles richtig gemacht, finde ich.
...und wider
Auf der neuen Platte von Coldplay lastet eine schwere Hypothek: ihr Vorgänger.
Das Debüt "Parachutes' hatte sich direkt über den Herzweg
in meine Seele geschlichen. Diese unglaubliche Stimme, traurig und trotzdem
voller Trost. Die Band hatte es geschafft, banalste Zeilen in Hymnen der
Leidenschaft zu verwandeln. "Look at the stars, look how they shine
for you, and everything you do ...', in der Tat, "Yellow' bleibt
einer der hellsten Sterne am Himmel. Extrem hohe Erwartungen meinerseits
beim ersten Hören der neuen Songs also. Und Schock - der Funke springt
nicht sofort über. Dabei hätte ich nichts sehnlicher gewünscht,
als mir auf der Stelle das Herz in Flammen setzen zu lassen. Enttäuscht
suche ich nach Gründen. Weshalb klingen Coldplay auf einmal nur noch
wie eine okaye Britpopband mit Akustikgitarren und Radiohead-Einschlag,
obwohl sie doch eigentlich die Retter der großen, echten Gefühle
sein müssten? Nach mehrmaligem Hören relativiert sich das Bild
ein bisschen. Einige Songs fangen doch an zu glänzen. "In My
Place' (die erste Single) zum Beispiel. Zuckersüß und sehnsüchtig
zugleich. Könnte prinzipiell auch von A-ha sein, und das meine ich
als Kompliment. Oder "Warning Sign': Auf eine dermaßen unspektakulär
dahergeschrammelte Strophe folgt ein Refrain, der alles entschädigt.
Die Streicher setzen ein, und Chris Martin singt so zärtlich wie
ein junges Kätzchen, das sich schnurrend an deine Beine schmiegt:
"When the truth is - I miss you - so'. Da funktioniert sie wieder,
die Sache mit den Platitüden, welche sich in Wahrheiten verwandeln.
Auf der anderen Seite dann eben so richtig gepflegte Langweiler wie "The
Scientist'. Zum tausendsten Mal dieses stoisch angeschlagene Betroffenheitsklavier,
das uns sagen will: Hier geht es um was Ernstes. Die Band setzt erst zur
zweiten Strophe ein, gegen Ende dengeln die Gitarren ein wenig lauter,
und der Hallregler wird nach oben geschraubt. Hat man einfach schon zu
oft gehört. Auch Ausflüge in experimentellere Soundgefielde
("A Whisper') wirken unentschlossen, und man bekommt das Gefühl,
dass Coldplay hier irgendwie den roten Faden verloren haben, welcher auf
"Parachutes' noch so dick wie ein Rettungsseil gewesen war. Bleibt
die schmerzhafte Erkenntnis, dass ein paar richtig gute Songs für
so eine großartige Band einfach zu wenig sind.
Christian Steinbrink & Oliver Minck / Intro - Musik & so
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